Mittelstand

Mittelstand

* * *

Mịt|tel|stand 〈m. 1u; unz.〉 = Mittelschicht

* * *

Mịt|tel|stand, der <o. Pl.>:
1. (Wirtsch.) Gesamtheit der kleinen und mittleren Unternehmen sowie der Selbstständigen.
2. Mittelschicht.

* * *

Mittelstand,
 
Soziologie: die Gesamtheit der sozialen Gruppen einer industriell bestimmten Gesellschaft, die nach Ausweis objektiver sozialer Merkmale (z. B. Einkommen und Vermögen) und subjektiver Schichtungsfaktoren (z. B. bestimmte politisch-gesellschaftliche Grundhaltungen, Sozialprestige und Werteverständnis) zwischen einer Ober- und einer Unterschicht stehen. Vor dem Hintergrund der schnellen Entwicklung der Beamten- und Angestelltenschaft seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wird zwischen dem »alten« und dem »neuen« Mittelstand unterschieden. Dem »alten« Mittelstand werden die selbstständigen Inhaber gewerblicher, kaufmännischer und landwirtschaftlicher Mittel- und Kleinbetriebe zugerechnet (d. h. große Teile des alten Bürgertums), ferner die freien Berufe, die höhere Beamtenschaft und die Rentiers; der »neue« Mittelstand umfasst auch Gruppen, die aufgrund der industriellen Entwicklung neu entstanden sind: v. a. die mittleren und unteren Angestellten sowie die qualifizierten Facharbeiter. Durch die verstärkte vertikale Mobilität seit der industriellen Revolution hat sich der Mittelstand stark ausgedehnt. Mit der Einbeziehung sozialpsychologischer Faktoren bei der Definition des Mittelstands (Zugehörigkeitsgefühl zum Mittelstand, Mittelstandsgesinnung mit entsprechendem Gesellschaftsbild, Aufstiegsorientierung) wird der Begriff auch zu einer politischen Kategorie.
 
Der Begriff des Mittelstands, die Zuordnungsmerkmale und die Aussagen über ihn werden stark bestimmt von der soziologischen Theorie, die bei seiner Definierung zugrunde gelegt wird. Seit der Antike ist nach G. Schmoller der Mittelstand in staats- und gesellschaftsphilosophischen Überlegungen (z. B. bei Aristoteles) als staatstragender Faktor angesehen worden, der im Rahmen einer besonderen Gesellschaftspolitik zu fördern sei. Im Gegensatz zu dieser positiven Sicht stellte der Marxismus die These auf, dass der Mittelstand (hier v. a. im Sinne des »alten« Mittelstands verstanden) im Zuge des sich verschärfenden Klassenkampfes zwischen Bourgeoisie und Proletariat zerrieben werde. Bestimmend für diese Analyse des »neuen« Mittelstands wurde die These, dass dessen arbeitsorganisatorische Stellung zwischen Unternehmer- und Arbeiterschaft, verbunden mit seinem relativ guten materiellen Auskommen die tatsächliche Konfrontation zwischen Produktionsmittelbesitzern und denen, die über keine Produktionsmittel verfügen können, verdecke.
 
Historisch gesehen ging der »alte« Mittelstand aus dem Handwerk hervor, dessen Existenzgrundlage seit der Mitte des 18. Jahrhunderts durch eine starke Bevölkerungsvermehrung, steigende Bodenrente und Nahrungsmittelpreise, verschärften Konkurrenzdruck und stagnierende Reallöhne fundamental infrage gestellt wurde, noch bevor die industrielle Revolution viele Handwerksbetriebe zu bloßen Zulieferer- und Reparaturbetrieben machte. Im Gefolge des Ersten Weltkrieges sowie der Weltwirtschaftskrise geriet der Mittelstand in schwere soziale Bedrängnis; soziale Unsicherheit, v. a. in Verbindung mit traditionalistischen Denkweisen und oft zu beobachtender unkritischer Autoritätsgläubigkeit, machten besonders den »alten« Mittelstand anfällig für faschistische und (in Deutschland) nationalsozialistische Denkschemata. Nach S. M. Lipset führen Mittelstandskrisen häufiger zu einem »Extremismus der Mitte«. Unter dem Eindruck dieser Erfahrungen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in den Demokratien mit einer pluralistischen Gesellschaftsstruktur der Mittelstand neben anderen gesellschaftlich bedeutsamen Schichten besonders gefördert.
 
Die gegenwärtige Entwicklung des (»neuen«) Mittelstands wird in besonderer Weise durch die Expansion des Dienstleistungssektors und die Herausbildung der Informationsgesellschaft bestimmt. Sie eröffnet dem Mittelstand einerseits zahlreiche neue Tätigkeitsfelder, ist vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Wandlungsprozesse und des wirtschaftlichen Strukturwandels andererseits jedoch mit starken wirtschaftlichen Zwängen, zahlreichen (oft schwer kalkulierbaren) Risiken und, infolge wachsenden Konkurrenzdruckes, für Teile des Mittelstands auch mit (zeitweiligen) Einkommensverlusten verbunden.
 
 
G. Schmoller: Was verstehen wir unter dem M.? (1897);
 T. Geiger: Die soziale Schichtung des dt. Volkes (1932, Nachdr. 1987);
 T. Geiger: Die Klassengesellschaft im Schmelztiegel (1949, Nachdr. New York 1975);
 C. W. Mills: Menschen im Büro (a. d. Engl., 1955);
 R. Dahrendorf: Soziale Klassen u. Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft (1957);
 S. M. Lipset: Soziologie der Demokratie (a. d. Engl., 1962);
 R. Krisam: Der »M.« im hochindustrialisierten Wirtschaftsraum (1965);
 H. A. Winkler: M., Demokratie u. Nationalsozialismus (1972);
 H. A. Winkler: Liberalismus u. Antiliberalismus. Studien zur polit. Sozialgesch. des 19. u. 20. Jh. (1979);
 
Angestellte im europ. Vergleich. Die Herausbildung angestellter Mittelschichten seit dem späten 19. Jh., hg. v. J. Kocka u. a. (1981);
 J. Kocka: Die Angestellten in der dt. Gesch. 1850-1980. Vom Privatbeamten zum angestellten Arbeitnehmer (1981);
 D. Jung: Vom Kleinbürgertum zur dt. Mittelschicht. Analyse einer Sozialmentalität (1982);
 B. Ehrenreich: Angst vor dem Absturz. Das Dilemma der Mittelklasse (a. d. Amerikan., Neuausg. 1994);
 R. M. Glassman: The middle class and democracy in socio-historical perspective (Leiden 1995).

* * *

Mịt|tel|stand, der <o. Pl.>: Gesamtheit der zur Mittelschicht Gehörenden: Der M. ist skeptisch gegenüber der Währungsunion (Woche 14. 3. 97, 17).

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Mittelstand — refers to small and medium sized enterprises in German speaking countries, especially in Germany, Austria and Switzerland. Economic and business historians have been increasingly giving Mittelstand companies more and more credit for Germany s… …   Wikipedia

  • Mittelstand — Mittelstand, Inbegriff der Individuen, welche weder einerseits zu dem Adel, dem höhern Offiziercorps, der höhern Beamtenklasse, noch anderseits zu der niedern Volksklasse sich zählen, also Beamte (die nicht Minister, Geheime Räthe, Präsidenten u …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Mittelstand — Mittelstand,der:⇨Mittelschicht …   Das Wörterbuch der Synonyme

  • Mittelstand — Die in Deutschland gebräuchliche Bezeichnung Mittelstand steht nach quantitativen Kriterien für die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU bzw. teilweise SME für engl. Small and Medium sized Enterprises) und nach qualitativen Kriterien für die… …   Deutsch Wikipedia

  • Mittelstand — (middle estate)    an elusive medieval term, sometimes in adequately translated middle class, that requires definition if one is to appre ciate much of the social and intellectual complexity that served as a backdrop to the Republic. A diverse… …   Historical dictionary of Weimar Republik

  • Mittelstand — 1. Der Mittelstand ist der beste. Lat.: Infima spreta jacent, fortunae obnoxia summa, quae medio sita sunt firma manere solent. (Philippi, I, 195.) – Summus ut esse nego, sic ultimus esse recuso; sim medius: mediis gratia major inest. (Seybold,… …   Deutsches Sprichwörter-Lexikon

  • Mittelstand — gewerblicher Mittelstand, mittelständische Unternehmen, kleine und mittlere Unternehmen. Für die Abgrenzung des M. gegenüber großen Unternehmen wird auf die Höhe des Umsatzes und/oder die Beschäftigtenzahl der Unternehmen, teils auch die… …   Lexikon der Economics

  • Mittelstand — mittel: Das westgerm. Adjektiv mhd. mittel, ahd. mittil, niederl. middel, engl. middle ist eine Weiterbildung von dem unter ↑ Mitte behandelten gemeingerm. Adjektiv. Im Gegensatz zum Komparativ »mittlere« und zum Superlativ »mittelste« ist der… …   Das Herkunftswörterbuch

  • Mittelstand — der Mittelstand (Aufbaustufe) alle Personen, die zur Mittelschicht gehören Beispiel: Sie hat eine kurze Umfrage im Mittelstand durchgeführt …   Extremes Deutsch

  • Mittelstand, der — Der Mittelstand, des es, plur. inus. der mittlere Zustand einer Person, besonders in Ansehung des Vermögens und des bürgerlichen Ranges, derjenige Stand, welcher zwischen reich und arm, zwischen vornehm und geringe in der Mitte ist …   Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”